Sonntag, 29. Juni 2025

Was wirklich zählt – 18 mal Hoffnung in Krisenzeiten – C. Juliane Vieregge (Hrsg.)

 Schüren Verlag GmbH (27. April 2025)  
Softcover, ‎ 256 Seiten
 ISBN: ‎ 9783741002953
Preis: 28,00 € / eBook 19,99 € 
 

Worum geht's?

Was gibt uns in Zeiten der Herausforderungen Hoffnung? Was treibt uns an? Worauf können wir uns verlassen? Was zählt wirklich? Bekannte und relevante Persönlichkeiten aus Kultur, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft mit einschneidenden Erfahrungen erzählen, was ihnen Hoffnung und Zuversicht gibt, was ihr Leben lebenswert macht, worauf sie setzen, was für sie zählt! Was wirklich zählt sind Geschichten, die Hoffnung machen. 

Gespräche mit Betty BBQ (Dragqueen), Grit Seymour (Modedesignerin), Najem Wali (irakisch-deutscher Schriftsteller), Mojib Latif (Klimaforscher), Katja Wolf (Politikerin), Ulf Merbold (Astronaut), Wolfgang Schmidbauer (Psychonanalytiker, Buchautor), Sebastian Krumbiegel (Musiker, Die Prinzen), Elena Uhlig (Schauspielerin), Maria Groß (Sterneköchin), Markus Bell (Opfer der Ahrtal-Flut), Inge Auerbacher (Holocaust-Überlebende), Maximilian Hillmann (Unternehmer, der auf veganes Leder setzt), Marie Theres Relin (Schauspielerin), Lutz Trabalski (Lotto-Gewinnberater), Gerburg Jahnke (Kabarettistin) und Serkan Eren (STELP).
 
(Text des Verlags)

Wie es mir gefallen hat:

 
Ich mag diese Art Bücher, in denen ganz verschiedene Menschen zu einem Thema zu Wort kommen. So eine Perspektivenvielfalt vermag oft den Blick auf die Dinge zu weiten, kann inspirieren, vielleicht auch mal herausfordern und man kann sie sich in kleinen Lektürehäppchen zu Gemüte führen.
 
Wie der Titel schon verrät, sind es in diesem Fall achtzehn Persönlichkeiten (die vollständige Auflistung findet sich im Inhaltstext des Verlags), deren biografisch geprägte Gedanken C. Juliane Vieregge gesammelt hat. Berichten sollten sie vom Wesentlichen in ihrem Leben, von dem, was sie trägt und ihnen Hoffnung gibt.
Das Buch ist in fünf mit einem Statement betitelten Kapitel unterteilt, die jeweils von Frau Vieregge mit einer persönlichen Einleitung eröffnet werden, auf die wiederum jeweils die Vorstellungen von drei bis fünf der Persönlichkeiten folgen. Von allen gibt es kleine Porträtfotos in Graustufen, sodass man auch Gesichter zu den Lebensgeschichten hat.  
 
Die Stärke eines solchen Konzepts kann zugleich eine kleine Schwäche sein, da es in der Natur der Sache liegt, dass einen manche Beiträge mehr ansprechen als andere. Bei dem einen oder anderen Text hatte ich den Eindruck, dass er am Kern des eigentlichen Themas vorbeischrammt, weil es dann doch mehr um die eigenen Hintergründe und Standpunkte an sich geht als um das, was sich daraus an Hoffnung schöpfen lässt bzw. was sich in Krisenzeiten bewährt und die Resilienz gestärkt hat. Zudem hätte ich mir an manchen Stellen prägnantere Headlines gewünscht, die mehr Neugier wecken, statt sich ein wenig wie Plattitüden zu lesen (vielleicht ist es damit allerdings leichter, eine breitere Masse anzusprechen?). Nichtsdestotrotz dürfte sich wirklich jede und jeder aus diesem Buch etwas mitnehmen können, sei es an Einblicken in die ganz verschiedenen Felder oder Bereicherndes für die persönliche Haltung, das sich aus dem jeweiligen Erfahrungsschatz ableiten lässt.
 
Auch wenn sich der Inhalt sowieso nicht in einem Preis ermessen lässt, würde ich bei 28 € von der Ausstattung her und vom Korrektorat etwas mehr erwarten und finde es schade, dass viele, denen das Buch Gutes mitgeben könnte, vor diesem Preis sicher zurückschrecken. 
 

In einem Satz:

„Was wirklich zählt" ist eine gut konzipierte Zusammenstellung von Beiträgen, die einem Eindrücke von ganz verschiedenen Lebenswelten vermitteln – und von dem, was sie an Hoffnungspotenzial verbindet.

Freitag, 20. Juni 2025

Ganz aus Splittern – Danae Lake


Thienemann (27. März 2025)
Taschenbuch ,‎ 320 Seiten
ISBN: ‎ 9783522203067
Preis: 16,00 € / eBook 12,99 €
Altersempfehlung: ‎ ab 14 Jahren 

Worum geht's?

Die 16-jährige Chrissy lebt mit ihrer Mutter und ihrem gewalttätigen Stiefvater Marcel im Problemkiez” und träumt von einem besseren Leben. Mehr noch, sie tut etwas dafür, indem sie sich in der Schule anstrengt, um ein gutes Abitur zu machen. Eines Tages bietet ihr die Direktorin des Heinrich-Heine-Gymnasiums die Teilnahme an einer Studie an, die den Wechsel von Schülern aus Problemvierteln an Elitegymnasien untersucht. Chrissy lehnt zunächst ab, will kein "Sozialexperiment" sein. Doch dann eskaliert die Lage zu Hause und sie nimmt das Angebot an. Während sie sich am Elitegymnasium einlebt, Freundschaften schließt und sich verliebt, hinterfragt sie die mysteriöse Studie. Als Marcel das Geheimnis um den Schulwechsel enthüllt, nimmt das Unheil seinen Lauf ...
 
(Text des Verlags)

Wie es mir gefallen hat:

 
Eine Jugendliche, die durch ihr Umfeld keine guten Startvoraussetzungen hat und statt Geborgenheit und Gefördert-Werden Vernachlässigung und sogar häusliche Gewalt (durch ihren Stiefvater) erlebt, sich aber durch Bildung daraus zu befreien versucht, erhält die Möglichkeit, an eine „Reichenschule” zu wechseln. Sie soll – und hier kommt der Unterschied zu Geschichten, in denen sich Stipendiaten in der High Society zurechtfinden müssen, ins Spiel – Teil einer sozialen Studie werden. Mehr als diesen Aufhänger brauchte es nicht, um mich neugierig zu machen.

Ich bin kein großer Fan davon, wenn Bücher am Alter ihrer Autor*innen gemessen werden, denn „Ganz aus Splittern” ist ein gutes Beispiel, dass ein Debüt nicht „für eine erst Achtzehnjährige sehr gut” ist, sondern ganz generell ein geniales Jugendbuch. Danae Lake schreibt so eindringlich wie unterhaltsam und hat ein Gespür dafür, wie man facettenreiche Charaktere und ihre Entwicklungen zeichnet. Die Geschichte lebt dabei besonders von den Kontrasten, um die es auch im Kern geht. Die Atmosphäre des Viertels, in dem sich Chrissy wenig Chancen bieten, ist eine völlig andere als die Welt des Heinrich-Heine-Gymnasiums, und die Kluft wird deutlich vermittelt, ohne dass die Autorin mit dem Finger ständig darauf zeigt.
Jede Menge Gefühlschaos ist bei der ganzen Sache natürlich auch vorprogrammiert. 
Die Triggerwarnung ist hier ernst zu nehmen, da einem das Gelesene nahgeht, vielleicht ZU nah, wenn man damit eigene Erfahrungen hat.

Es hat mich überrascht, dass es fast ein Drittel des Buches dauert, bis Chrissy den Schulwechsel antritt, was der Klappentext ja schon verraten hat. Dennoch habe ich mich auf dem Weg dahin keine Seite lang gelangweilt. Man erfährt eben zuerst, woher sie kommt, bevor man sie dorthin begleitet, wohin sie geht. Sie, genau wie ihr bester Freund Tjard und seine Mutter und einige andere, wachsen einem ans Herz, und man hofft mit ihnen auf positive Veränderungen und Perspektiven.
 

In einem Satz:

„Ganz aus Splittern" ist ein authentisch erzähltes Jugendbuch über die so schwer erreichbare Chancengleichheit, über das Aufwachsen unter schwierigen familiären Bedingungen, über die Schlüsselrolle von Bildung und darüber, wie viel es ausmacht, Menschen zu haben, die bedingungslos zu einem stehen.

 

Donnerstag, 19. Juni 2025

Geht so – Beatriz Serrano


Eichborn (28. März 2025)
Hardcover, ‎ 240 Seiten
ISBN: ‎ 9783847902126
Preis: 22,00 € / eBook 19,99 €
Originaltitel: ‎ El descontento
übersetzt von Christiane Quandt

Worum geht's?

Marisa ist mit den Nerven am Ende. Ihr Bullshit-Job in einer Madrider Werbeagentur, in dem sie nur durch Zufall gelandet ist, langweilt sie zu Tode, und das tägliche Hamsterrad des Angestelltendaseins erträgt sie nur noch, indem sie ihre Sinne mit einer Mischung aus bizarren YouTube- Videos und Beruhigungsmitteln betäubt. Als ein Teambuilding-Wochenende ansteht, gerät Marisas Angststörung völlig außer Kontrolle. Allmählich zeigen sich Risse in ihrer sorgsam aufrechterhaltenen Fassade - und die Idee, auf den Firmenausflug diverse Drogen mitzunehmen, trägt vielleicht nicht unbedingt dazu bei, ihr Leben wieder in geordnetere Bahnen zu lenken ...
 
(Text des Verlags)

Wie es mir gefallen hat:

 
Ein bisschen hat mich dieses Buch in seiner Art an „Yellowface” erinnert, denn genau wie Rebecca F. Kuang setzt Beatriz Serrano vor allem auf schneidenden Humor und Gesellschaftskritik, die sich in ihren Beobachtungen einer Branche niederschlägt (genauer gesagt der Werbebranche, wobei Serrano aber mehr auf die Arbeitswelt als solche hinauswill, während Kuang sich mit der Literaturszene und ihren Fallstricken beschäftigt).
Dabei steht der Büroalltag der Ich-Erzählerin Marisa im Vordergrund; es gibt relativ wenig Handlung, dafür viel inneres Erleben mit sarkastischen Gedanken, ungeschönten Beobachtungen und Schilderungen ihres Umfelds. Es geht um das Maß an Ersetzbarkeit des Einzelnen in der Arbeitswelt und vielleicht überhaupt in der Welt, ums Sich-Gefangen-Fühlen und ums Versinken im immer und überall verfügbaren Content irgendwelcher Fremden, so wenig er einen auch weiterbringen mag.
Dem lobenden Zitat Elena Medels, dass der Roman „klug und urkomisch„ sei, „auch – oder gerade – weil man sich selbst darin wiedererkennt", wird er tatsächlich sehr gerecht, obwohl ich mich weniger darin wiedererkannt habe als befürchtet; dafür ist der Ton einfach zu resigniert.

Die Protagonistin hat bei mir oft wenig Sympathie ausgelöst, meist eher so etwas wie Mitgefühl oder teilweise Leidensgenossinnenschaft. Sie ist ein interessanter Charakter, weil sie in der Lebenswelt, in der sie sich bewegt, aus dem Rahmen zu fallen scheint und sich doch nicht sicher ist, ob sie das wirklich tut oder vielmehr mit allen anderen zu einer gleichförmigen Masse verschwimmt (so hat sie etwa das U-Bahn-Fahren eingestellt, weil sie Angst hatte, sich selbst mit den anderen Mitreisenden zu verwechseln, vgl. S. 71).

Marisas Tablettenkonsum, der schlussendlich auch den Betriebsausflug etwas anders verlaufen lässt als von der Chefetage geplant, hat etwas Tragikomisches an sich, das ideal zum Charakter der Geschichte passt. Der Teambuildingtrip, den ich durch den Klappentext als Hauptschauplatz vermutet hatte, nimmt dabei allerdings nur einen vergleichsweise kleinen Part im letzten Drittel des Buches ein. Gewissermaßen wird er zum Höhepunkt einer Klimax, zum Ort einer Eskalation.
Das Ende ist ... wild. Aber auch das passt hunderprozentig zur Geschichte.
 

In einem Satz:

Das Buch legt den Finger auf wunde Punkte, lässt einen schmunzeln, aber mit bedrücktem Blick. Kein Pageturner, aber thematisch sehr gut umgesetzt!