Hardcover, 464 S. Verlag: Brunnen ISBN: 978-3-7655-0988-9 Preis: 22,- € ______________________________ |
Rezension: „Roter Herbst in Chortitza" von Tim Tichatzki
„Roter Herbst in Chortitza“ ist ein Roman, der einen
sprachlos, zutiefst erschüttert und entsetzt zurücklässt, nicht jedoch ohne
Zuversicht.
Ich kann mich nicht erinnern, bisher jemals so sehr von einem Buch mitgenommen worden zu sein – mitgenommen in dem Sinne, dass es mich fertig gemacht und verstört hat, aber auch darin, dass es mich wirklich abgeholt und für sich vereinnahmt hat. Dieser Roman, Tim Tichatzkis Debüt, ist etwas absolut Besonderes. Großartig geschrieben, meisterhaft komponiert und schonungslos aufzeigend, was bereits jetzt in Vergessenheit zu geraten scheint.
Tichatzki schildert die Geschichte der mennonitischen Familie Bergen aus Osterwick (heutige Ukraine). Die Erzählung setzt im Jahr 1919 an. Gleich zu Beginn lernen wir die zentralen Figuren – Willi Bergen und Maxim Orlow – kennen, zwei junge Freunde sehr verschiedenen Temperaments. Osterwick ist Willis Heimatort, während Maxim und sein Vater Juri notgedrungen dort gelandet sind. Willis und Maxims Wege führen in den Folgejahren getrennt und jeweils auf eigene Weise durch tiefste Dunkelheit, eine Dunkelheit, die die gesamte Sowjetunion in und zwischen den Kriegsjahren in ewige Nacht zu hüllen scheint.Es lohnt sich, sie auf ihren beschwerlichen Reisen zu begleiten.
Die personale Erzählsicht auf Willi und Maxim dominiert den Roman weitgehend, jedoch bezieht der Autor geschickt eine Vielzahl von Akteuren erzählerisch mit ein, deren Leben in irgendeiner Beziehung zu den Protagonisten steht. So werden viele sich ergänzende und auch in Widerspruch zueinander stehende Perspektiven auf den Erzählzeitraum von fast 30 Jahren (1919–1947) geworfen.
Es zeigt sich: Grausamkeit kommt nicht von ungefähr und es gibt Entscheidungen, zu denen kein Mensch gezwungen werden sollte.
Ein kleiner Kritikpunkt, den ich bezüglich der Erzählperspektive anführen möchte, ist das manchmal etwas irritierende Hin- und Herswitchen zwischen Innenperspektiven mehrerer Figuren im gleichen Absatz – was allerdings nicht allzu oft vorkam und dem Lesefluss nicht geschadet hat.
Ich habe lange gebraucht, um das Buch zu lesen und das aus einem ganz einfachen Grund: Es war hart. Nach besonders schlimmen Szenen musste ich das Buch einfach aus der Hand legen, um mich zu sammeln, nachzudenken, das Gelesene zu verdauen. Jetzt könnte man denken „okay, der Roman ist wohl nichts für Sensible“, aber das würde ich nicht sagen. Man muss sich nur die Lesedosen richtig einteilen, sich vorsichtig in der Geschichte vorantasten. Aber die Augen verschließen darf man nicht. Man muss schon hinsehen. Sich konfrontieren zu lassen. Denn wir haben es hier mit einem gewichtigen Stück Geschichte zu tun, das sich nicht ausradieren lässt. So unglaublich mir das nach dem Lesen von „Roter Herbst in Chortitza“ auch erscheint: Wir leben noch immer in der selben Welt, in der derart grausame Dinge geschehen sind. In der Leute, MENSCHEN, diese grausamen Dinge getan haben und haben geschehen lassen.
Tichatzkis Roman hat mich an einige fundamentale Dinge erinnert:
Zum einen, dankbar zu sein, für alles, was ich habe. Auch: dass nichts selbstverständlich ist (nicht, dass ich jeden Tag genug zu Essen habe, nicht, dass ich eine Universität besuchen kann und ebenso wenig, dass ich meine Meinung frei äußern und ohne Gefahr zu meinem christlichen Glauben stehen darf). Und daran: wie zerbrechlich Frieden ist. Und dass es die Pflicht von uns allen ist, ihn zu bewahren, wenn wir uns weiterhin als Menschen bezeichnen möchten.
Ich möchte dieses Buch jedem (ab 16 Jahren) empfehlen.
Es ist keine trockene Geschichtserzählung, sondern ein extrem lebensnah geschilderter Stoff, der jeden und jede von uns etwas angeht. Es handelt sich dabei also nicht um ein Buch, dass sich nur auf dem christlichen Buchmarkt verorten ließe – der christliche Glaube spielt zwar durchaus eine wichtige Rolle, wird aber nicht in dem Sinne propagiert, dass es einen Nicht-Christen beim Lesen stören könnte.
Ich hoffe, ich kann, indem ich dies hier schreibe und veröffentliche, zu der Verbreitung des Buches einen kleinen Teil betragen und mich bei Tim Tichatzki gebührend bedanken.
Ich kann mich nicht erinnern, bisher jemals so sehr von einem Buch mitgenommen worden zu sein – mitgenommen in dem Sinne, dass es mich fertig gemacht und verstört hat, aber auch darin, dass es mich wirklich abgeholt und für sich vereinnahmt hat. Dieser Roman, Tim Tichatzkis Debüt, ist etwas absolut Besonderes. Großartig geschrieben, meisterhaft komponiert und schonungslos aufzeigend, was bereits jetzt in Vergessenheit zu geraten scheint.
Tichatzki schildert die Geschichte der mennonitischen Familie Bergen aus Osterwick (heutige Ukraine). Die Erzählung setzt im Jahr 1919 an. Gleich zu Beginn lernen wir die zentralen Figuren – Willi Bergen und Maxim Orlow – kennen, zwei junge Freunde sehr verschiedenen Temperaments. Osterwick ist Willis Heimatort, während Maxim und sein Vater Juri notgedrungen dort gelandet sind. Willis und Maxims Wege führen in den Folgejahren getrennt und jeweils auf eigene Weise durch tiefste Dunkelheit, eine Dunkelheit, die die gesamte Sowjetunion in und zwischen den Kriegsjahren in ewige Nacht zu hüllen scheint.Es lohnt sich, sie auf ihren beschwerlichen Reisen zu begleiten.
Die personale Erzählsicht auf Willi und Maxim dominiert den Roman weitgehend, jedoch bezieht der Autor geschickt eine Vielzahl von Akteuren erzählerisch mit ein, deren Leben in irgendeiner Beziehung zu den Protagonisten steht. So werden viele sich ergänzende und auch in Widerspruch zueinander stehende Perspektiven auf den Erzählzeitraum von fast 30 Jahren (1919–1947) geworfen.
Es zeigt sich: Grausamkeit kommt nicht von ungefähr und es gibt Entscheidungen, zu denen kein Mensch gezwungen werden sollte.
Ein kleiner Kritikpunkt, den ich bezüglich der Erzählperspektive anführen möchte, ist das manchmal etwas irritierende Hin- und Herswitchen zwischen Innenperspektiven mehrerer Figuren im gleichen Absatz – was allerdings nicht allzu oft vorkam und dem Lesefluss nicht geschadet hat.
Ich habe lange gebraucht, um das Buch zu lesen und das aus einem ganz einfachen Grund: Es war hart. Nach besonders schlimmen Szenen musste ich das Buch einfach aus der Hand legen, um mich zu sammeln, nachzudenken, das Gelesene zu verdauen. Jetzt könnte man denken „okay, der Roman ist wohl nichts für Sensible“, aber das würde ich nicht sagen. Man muss sich nur die Lesedosen richtig einteilen, sich vorsichtig in der Geschichte vorantasten. Aber die Augen verschließen darf man nicht. Man muss schon hinsehen. Sich konfrontieren zu lassen. Denn wir haben es hier mit einem gewichtigen Stück Geschichte zu tun, das sich nicht ausradieren lässt. So unglaublich mir das nach dem Lesen von „Roter Herbst in Chortitza“ auch erscheint: Wir leben noch immer in der selben Welt, in der derart grausame Dinge geschehen sind. In der Leute, MENSCHEN, diese grausamen Dinge getan haben und haben geschehen lassen.
Tichatzkis Roman hat mich an einige fundamentale Dinge erinnert:
Zum einen, dankbar zu sein, für alles, was ich habe. Auch: dass nichts selbstverständlich ist (nicht, dass ich jeden Tag genug zu Essen habe, nicht, dass ich eine Universität besuchen kann und ebenso wenig, dass ich meine Meinung frei äußern und ohne Gefahr zu meinem christlichen Glauben stehen darf). Und daran: wie zerbrechlich Frieden ist. Und dass es die Pflicht von uns allen ist, ihn zu bewahren, wenn wir uns weiterhin als Menschen bezeichnen möchten.
Ich möchte dieses Buch jedem (ab 16 Jahren) empfehlen.
Es ist keine trockene Geschichtserzählung, sondern ein extrem lebensnah geschilderter Stoff, der jeden und jede von uns etwas angeht. Es handelt sich dabei also nicht um ein Buch, dass sich nur auf dem christlichen Buchmarkt verorten ließe – der christliche Glaube spielt zwar durchaus eine wichtige Rolle, wird aber nicht in dem Sinne propagiert, dass es einen Nicht-Christen beim Lesen stören könnte.
Ich hoffe, ich kann, indem ich dies hier schreibe und veröffentliche, zu der Verbreitung des Buches einen kleinen Teil betragen und mich bei Tim Tichatzki gebührend bedanken.