HC, 408 S. Verlag: Beltz&Gelberg (10. Juli 2018) ISBN: 978-3-407-75435-6 Preis: 17,95 € Einteiler
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Heute stelle ausnahmsweise mal ich, Miriam, ein Buch vor und zwar „Hyde“ von Antje Wagner.
Wenn ich „Hyde“ mit einem Gemälde vergleichen sollte, dann
würde ich entweder eins von Henri Rousseau, Odilon Redon oder Max Ernst wählen.
Am besten eine Mischung aus allen dreien (die Farben von Rousseau, die
Atmosphäre von Redon und die Dynamik von Ernst).
„Hyde“ ist kein gewöhnlicher Jugendroman,
hat weder eine gewöhnliche Protagonistin, noch einen gewöhnlichen Erzählstil. Darauf sollte man vorbereitet
sein. Nachdem ich bereits „Vakuum“ und „Unland“ von Antje Wagner gelesen und
geliebt habe, hatte ich schon vor Lesebeginn das Gefühl, es hier mit einem
besonderen Buch zu tun zu haben. Und ich wurde absolut nicht enttäuscht.
Tatsächlich ist es schwierig, etwas über den Inhalt zu verraten. Schon der
Klappentext mutet ja recht kryptisch an und das ist auch gut so. Denn nur auf
diese Weise kann Katrinas faszinierende Geschichte sich voll entfalten.
Wenn schon nicht zum Inhalt, so möchte ich doch ein paar Hinweise zur Protagonistin
geben. Katrina vor nicht allzu langer Zeit volljährig geworden, hat eine
Ausbildung zur Tischlerin gemacht und ist nun auf der Walz. Zu Beginn von
„Hyde“ wird man in das Geschehen hineingeworfen und erst allmählich stößt man
auf Orientierungspunkte und lernt, sich zurechtzufinden in dem aufwühlenden
Chaos, das Katrinas Leben war und jetzt noch ist. Katrina ist niemand, der viel
von sich preisgibt, auch dem Leser gegenüber nicht. Mit dieser Unnahbarkeit
habe ich mich stellenweise durchaus schwer getan, weil ich jemand bin, der
schnell ungeduldig wird, aber letzten Endes war es sehr gut, dass Katrina mich
so lange hat zappeln lassen. Sie erzählt ihre Geschichte wohldurchdacht. Es
ist, als würde sie dem Leser ein Glas Wein reichen, ihn aber immer nur einen
kleinen Schluck trinken lassen mit dem Hinweis „Genieß es und kipp nicht gleich
alles hinunter, sonst bist du direkt betrunken und hast nichts mehr davon“.
Anfänglich habe ich etwas Zeit gebraucht, um mich an den Erzählstil zu
gewöhnen, wobei ich ihn immer und immer mehr zu mögen begonnen habe. Einerseits
erfahren wir, was gegenwärtig passiert, andererseits werden diese Passagen
immer wieder mit vergangenem Geschehen unterfüttert. Neugier, Erkenntnis,
Unbehagen und Entsetzen nehmen so gleichermaßen stetig zu. Als Leser dringen
wir immer tiefer in das Dickicht ein, dass Katrinas Leben und auch das Rätsel
um Hyde, ihre ehemalige Heimat, umgibt. Tatsächlich habe ich einiges
vorausgeahnt, aber gerade das hat ja auch seinen Reiz. Man fängt an, mehr und
mehr zu spekulieren und klar – manchmal ist man auf der richtigen Fährte und
bei der ein oder anderen Auflösung nicht mehr so überrascht, bei anderen dann
jedoch umso mehr.
Für mich war „Hyde“ eins dieser Bücher, das man widerwillig aus der Hand legt,
weil es spät geworden ist oder man noch etwas schaffen muss, obwohl man
eigentlich viel lieber weiterlesen möchte. Da das Buch in viele einzelne
Abschnitte gegliedert ist, gerade durch den Wechsel zwischen Jetztzeit und
Vergangenheit, könnte man es jederzeit beiseitelegen, genauso gut aber immer
und immer weiter in die Geschichte vordringen (á la „Komm, ein Abschnitt geht
noch“).
Die Sprache ist wunderschön, hat poetische Momente, findet treffsichere Formulierungen
und transportiert etwas von Katrinas Persönlichkeit, dass sie dem Leser nicht
so unmittelbar zeigen kann und vielleicht auch nicht will. Durch die Sprache
offenbart sie sich unbewusst. Trotz Bildhaftigkeit hängt man sich beim Lesen
nicht am Sprachstil auf, sondern er lässt einen ganz im Gegenteil noch viel
mehr sehen als die Handlung an sich.
Alles in allem habe ich selten einen Roman mit einer solch authentischen,
interessanten Protagonistin gelesen und ich wünschte, jede Geschichte wäre so feinfühlig
erzählt wie ihre. Obwohl ich „Hyde“ sehr gern in mich hineingeschlungen habe,
bin ich im Nachhinein von manchen Plotelementen noch immer nicht gänzlich
überzeugt und habe auch noch immer am Ende zu knabbern. An manchen Stellen habe
ich gedacht, ein paar weniger Wirrungen und Seitenwege hätten der Geschichte
vielleicht gutgetan, weil ich hier und da das Gefühl hatte, dass die
Konzentration etwas zerfasert, aber andererseits weiß ich auch nicht, was man
hätte streichen sollen. Zumal das ganze Buch wahnsinnig gut durchkomponiert ist
(widerspreche ich mir gerade selbst? ;) ).
Wem möchte ich „Hyde“ ans Herz legen? Grundsätzlich jedem, der auf der Suche
nach Ungewöhnlichem, durchaus Verstörendem und nicht leicht Verdaulichem ist.
Wer absolut nichts mit Mystery anzufangen weiß oder nicht mit sperrigen
Charakteren auskommt, sollte besser die Finger davon lassen.
Ich für meinen Teil habe mich gefreut, dieses Buch lesen zu dürfen.
Für das Rezensionsexemplar bedanke ich mich herzlich beim Verlag und bei der Autorin!
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1 Kommentar:
Aloha, Miriam.
Rousseau & Ernst stehen hier gut Pate, wenn es um das Cover geht; & ich darf vermuten, daß sich "deren" Atmosphäre auch irgendwo in der Geschichte selber spiegelt.
Eine griffige Analogie übrigens mit dem Nippen eines Weines, dessen Bouquet sich ja erst durch die kleine Menge & das kurz verzögerte Verweilen im Mund entfalten kann (das Extrem wäre dann die Schlüferei, Gurgelei bei einschlägigen Weinproben)
Rein Assoziativ läßt mich Deine Umschreibung des Romans direkt an "Ulysses" denken & die Begebenheits-Kaskaden aus dem Lebenstag Blooms.
Ich sollte wieder eine Mail schreiben (bereits der Höflichkeit wegen). :-)
bonté
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